Sonntag, 19. Mai 2013

Opium fürs Volk ...

Als ich heute morgen in der Küche beim Frühstück saß, lief im Radio der Song "You and me" von Milow. Und wieder einmal fiel mir auf, wie weit doch mein Verständnis von "Liebe" von dem entfernt ist, was offensichtlich ein Großteil der Menscheit dafür hält.
Das Lied von Milow (und der Erfolg des Songs) ist ja nur ein Beispiel dafür:

"I wish you were a little bigger
Not just big but really really fat
Doors you would no longer fit through
In my bed you would have to stay."

"Ich wünschte Du wärst etwas umfangreicher
nicht nur wohlbeleibt, sondern richtig richtig fett.
Du würdest nicht mehr durch die Türen passen
und müsstest immer in meinem Bett bleiben."

Welch gruselige Vorstellung, so fett zu sein, dass man auf ewig in einem Raum gefangen sein wird. Es soll ja durchaus Männer geben, die ihre Freundin dermaßen mästen, dass sie eine Körperfülle erreicht, die schon lebensbedrohlich ist. Mit Liebe hat das wohl eher weniger zu tun, als viel mehr mit dem Wunsch, totale Kontrolle und Macht über "das Objekt der Begierde" auszuüben. Und von totaler Macht und Kontrolle singt er ja auch in der nächsten strophe:
"I often wish that you had feathers
I'd keep you in a giant cage
All day long I'd sit and watch you
And sing for you if it would be okay"

"Ich wünsche oft, dass Du Federn hättest
ich würde Dich in einem riesigen Käfig halten
Den ganzen Tag würde ich dort sitzen und Dich beobachten
und für Dich singen, falls es in ordnung ist."

Der Wunsch eines Mannes, die eigene Partnerin einzusperren und sie ständig unter Beobachtung zu halten scheint ja durchaus stark verbreitet zu sein. Dies wird dann offenbar auch für wahre Liebe gehalten, Eifersuchtsszenen inklusive. Dass wahre Liebe etwas mit Vertrauen zu tun hat, scheint inzwischen in Vergessenheit geraten zu sein. Und so passt auch das beliebte Lied "Alles aus Liebe" von den Toten Hosen ganz gut in hierher:
"Sobald deine Laune etwas schlechter ist,
bild ich mir gleich ein, dass du mich nicht mehr willst.
Ich sterbe beim Gedanken daran,
dass ich dich nicht für immer halten kann.
Auf einmal brennt ein Feuer in mir
und der Rest der Welt wird schwarz.
Ich spür wie unsere Zeit verrinnt,
wir nähern uns dem letzten Akt."

Diese totale Abhängigkeit des eigenen Gefühlsleben von den Aktionen und Stimmungen einer anderen Person, diese totale Fixiertheit nur auf einen Menschen, den man zum Mittelpunkt seines eigenen Da-Seins erkoren hat, hat nichts mit Liebe zu tun, sondern mit Suchtverhalten und so endet das Liede dann auch folgerichtig mit "dem letzten Akt":
"Ich bin kurz davor durchzudrehn,
aus Angst, dich zu verliern.
Und dass uns jetzt kein Unglück geschieht,
dafür kann ich nicht garantiern.

Und alles nur, weil ich dich liebe,
und ich nicht weiß, wie ich's beweisen soll.
Komm, ich zeig dir, wie groß meine Liebe ist
und bringe mich für dich um.

Komm, ich zeig dir, wie groß meine Liebe ist,
und bringe uns beide um."

Sowas ist übrigens traurige Realität für viele, die aus solchen kranken Beziehungen zu fliehen versuchen, sie werden umgebracht oder fast ins Grab geprügelt. Das muss dann "Liebe" sein, da schreckt man vor nichts zurück, um den anderen ganz zu vereinnamen und für sich allein zu behalten, auch wenn dieser sich räumlich trennt und auf Abstand geht. Dann rennt man ihm eben hinterher, wie in dem Song "Zurück zu dir" von Xavier Naidoo:
"Ich will zurück zu Dir
Und ich geb' alles dafür
Ich will zurück zu Dir
Ich steh' fast vor deiner Tür
Ich will zurück zu Dir, und dann lange nicht mehr weg
Ich brauche gar nichts, wenn am Ende ich ein wenig von Dir hätt'"

Da kann man allein schon vom Zuhören Beklemmungen kriegen. Schon dieses "Ich steh fast vor deiner Tür" klingt fast wie eine Drohung. Am liebsten möchte man dem Typen zurufen: "Hallo, wie wärs mal mit vorher anrufen?" oder "Meinst Du nicht, das hat nen Grund, warum sie weg ist? Schonmal drüber nachgedacht?" Aber nein, er hat sich was in den Kopf gesetzt und ist schon auf dem Weg und nicht mehr aufzuhalten ... er will ja auch nur "ein wenig" von ihr und dann ist die Welt wieder in Ordnung, mehr braucht er nicht zum Leben, Hauptsache, "Mutti" hat ihn wieder lieb, was "Mutti" will ist dabei zweitrangig.

Aber reife Liebe unter reifen Menschen sieht anders aus. Und genau das scheint das Problem zu sein: es gibt einfach viel zu wenig reife Menschen, stattdessen lauter groß gewordene Kinder, die nach wie vor die Anerkennung von Mami oder Papi suchen oder einfach erwarten, dass andere ihre Bedürfnisse stillen. Und die dürfen dann auch nie wieder weggehen, denn sie sind überlebenswichtig, weil man sich in völlige Abhängigkeit zu ihnen begeben hat.

Aber niemand will das Kind beim Namen nennen. Statt Sucht oder Abhängigkeit nennt man es "Liebe".